Ich habe etwas für Moorlandschaften übrig. Sie haben etwas Unheimliches, Geheimnisvolles. Vor allem in den frühen Morgenstunden, wenn geisterhafte Nebel über den Wollgräsern und Moosen aufsteigen. Einer der geheimnisvollsten Landschaften in Schweden ist sicherlich der Store Mosse Nationalpark mit seinen ausgedehnten Moorflächen.
Nicht nur irgendein Moor in Südschweden
Der Tag beginnt vielversprechend – strahlend blauer Himmel und keine Wolke bis zum Horizont. Der Tau glitzert noch im Gras in der Sonne. Als ich um halb sieben aufwache, ist der Leon schon auf. Das Navigationssystem zeigt uns an, dass wir bis zum Store Mosse Nationalpark 1 Stunde 45 Minuten brauchen. Ich bin etwas irritiert, denn es sind nur 43 km. So langsam kann ich eigentlich gar nicht fahren.
Schon nach kurzer Zeit verlassen wir die Hauptstraße und es geht auf einem schmalen Feldweg weiter. „Feldweg“ ist eigentlich nicht der passende Ausdruck, denn wir fahren durch den Wald. Die Bäume rücken immer dichter an die Fahrspuren heran und ich erwarte jeden Augenblick, dass er ganz aufhört. Aber das Navi kennt sich weiterhin hartnäckig aus. Es ist unglaublich, was für Wege hier in Schweden im Navigationssystem erfasst sind. Trotzdem finden wir den Eingang zum Naturum auf Anhieb.
Bewaffnet mit Regenjacke, Wanderschuhen und Rucksack, gefüllt mit belegten Brötchen, Getränken und der einen oder anderen Spezialität aus Schwedens Bäckereien machen wir uns auf den Weg ins Moor. Im Informationszentrum haben wir uns nicht lange aufgehalten, schließlich wollen wir raus in die Natur.
Nach einem kurzen Stück durch den Wald öffnet sich der Blick auf eine weite Fläche im Store Mosse Nationalpark, auf der neben dem einen oder anderen kleinen Busch und Unmengen an Gräsern auch dürre Moorbirken wachsen. Auf den ersten Blick wirkt das Areal wie eine Steppenlandschaft in Afrika auf mich. Damals bin ich noch nicht in Afrika gewesen, aber genauso habe ich mir die Steppe nach dem Regen vorgestellt. Die Weite der Moorfläche trügt nicht, denn der Store Mosse ist Schwedens größtes Moor mit unberührten Hochmoorgebieten. Unter Schutz stehen seit 1974 rund 8.000 Hektar Fläche.
Uralt und neu entdeckt
Der Nationalpark erstreckt sich rund um den Kävsjön-See im Südschwedischen Hochland. Das Gestein hier entstand vor etwa drei Milliarden Jahren und immer wieder verschoben, ins Erdinnere verfrachtet und wieder an die Oberfläche geholt. So entstand irgendwann eine 800 Kilometer lange Verwerfung, in der der sogenannte Smalandgranit und der Gneis Südschwedens zusammenkamen. Die Erosion trug fast alles wieder ab, sodass lediglich ein paar Restberge übrigblieben, die heute wie Inseln aus der Landschaft ragen.
In den Eiszeiten war ganz Skandinavien unter einer dicken Eisschicht vergraben. Als dies dann vor etwa 15.000 Jahren seinen Rückzug antrat, bildeten sich riesige Gletscherseen, die langsam abflossen und große Mengen an Sand und Moränenmaterial zurückließen. Solche Moräneninseln sind heute noch beispielsweise als Erhebung Lövö und Söndra Svänö erkennbar.
Sanddünen im Nationalpark
Dort, wo sich das Eis zurückgezogen hatte, erhob sich langsam die Erdkruste, sodass sich das Land nach Süden hin aufstülpte. Der Sand lag bald ungeschützt auf den Grund des Sees. Starke Winde schufen aus ihm Flugsanddünen, die sich heute noch netzartig durch das Schutzgebiet ziehen.
Neues Leben entstand
Aus den lebensfeindlichen Gletscherlandschaften sprossen Flechten, Gräser und wilde Kräuter. Dann folgten Steppenpflanzen, Weiden und Birken als erste Bäume. Als das Wetter milder wurde, ließen große Niederschlagsmengen den Wasserstand ansteigen. Die Heideflächen versumpften, weil das Wasser nicht mehr abfließen konnte und es entstanden langsam Moorlandschaften. Vor 5.000 Jahren veränderte sich das Klima erneut. Es wurde wieder kühler und der Wasserstand sank. Das hatte zur Folge, dass aus dem Niedermoor ein Hochmoor entstand, einem der nährstoffärmsten Lebensräumen überhaupt.
Und damit veränderte sich auch die Flora erneut. Heute bilden trockene Regionen mit nassen Schlenken ein artenreiches Mosaik. Im Frühjahr schmücken tausende von silbernen Büscheln des Wollgrases die Landschaft, später sind es die Moosbeeren, die alle Blicke auf sich ziehen.
Wildren, Riesenhirsch, Vielfraß und Co.
Auf der kargen Tundra tummelten sich von ein paar tausend Jahren noch Bären, Wölfe und Fischotter. Später wurden Reh und Rothirsch häufige Besucher. Und auch heute noch trifft man hier noch – oder wieder – auf unzählige Wildtiere. Wenn es im Unterholz knackt, ist oft ein fliehender Elch der Auslöser. In der Dämmerung sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht, gelegentlich ist auch ein Dachs mit dabei. Und immer wieder streifen auch Luchse durch den Nationalpark.
Der See Kävsjön ist ein perfektes Ziel für alle Vogelbeobachter. Kranich, Zwergschnepfe und Goldregenpfeifer durchstreifen mit ihren langen Beinen die Uferbereiche. Im Frühjahr rasten Tausende von Grau- und Saatgänsen auf den Schwingrasenflächen im Store Mosse Park, um dann in wunderschönen Formationen weiterzuziehen. Am Horssjön-See sammeln sich in wasserreichen Jahren Hunderte von Singschwänen, gelegentlich von der riesigen Lachmöwen-Kolonie übertönt. Alles in Allem tummeln sich im Store Mosse unzählige seltene und weniger seltene Vogelarten.
Eidechsen und Libellen auf dem Blockbohlensteg
Mitten durch die Gräser führt ein schmaler Weg aus Blockbohlen scheinbar kerzengrade bis zum Horizont. Um uns herum ist überall Wasser und nur die Spitzen der Pflanzen schauen über die Oberfläche. Wie tief das Wasser ist, können wir nicht erkennen, aber es ist unwahrscheinlich, dass es mehr als einen halben Meter tief ist. Es ist erstaunlich, unter welchen Bedingungen Bäume noch wachsen können. Ab und an verbreitert sich der Plankenweg zu einer kleinen Plattform mit Sitzmöglichkeit zum Beobachten und Ausruhen. Außerdem ist die Plattform praktisch, wenn Gegenverkehr kommt.
Es riecht nach Torf, neben unseren Füßen huschen die Eidechsen zwischen die Wollgräser und uns umschwirren Libellen. Kleine Libellen mit rostrotem Körper, große türkisblaue Libellen stehen über uns in der Luft und ein paar Meter weiter schweben ziemlich riesige Exemplare in Gelb.
Auf dem Steg sonnen sich kleine Eidechsen von etwa 10 cm Länge. Wenn wir uns vorsichtig anschleichen oder längere Zeit stehen bleiben, können wir sie gut beobachten.
Über Stock, Stein und Blockbohlen
Auf der anderen Seite angekommen, geht der Weg wieder in den Wald. Der Boden ist auch hier nur selten wirklich trocken, aber gut begehbar. Nach zwei weiteren Stunden Marschzeit laufen wir dann abermals über zwei nebeneinander gelegte Planken, die hier allerdings schon etwas marode erscheinen.
Sie sind nur alle drei Meter befestigt, der Rest neigt sich – je nach Belastung mehr oder weniger stark – nach unten ins Wasser. Der Wasserstand ist durch den Regen in den letzten Tagen auf einem recht hohen Niveau und ich befürchte bereits seit einiger Zeit, dass unsere Schuhe dem nicht lange etwas entgegenzusetzen haben.
Ein kleines Missgeschick inklusive
Plötzlich schwingen die morschen Planken in der Mitte ganze 20 cm nach unten und meine Füße tauchen ins kühle Nass. Glücklicherweise sind meines Schuhe nicht gut wasserdurchlässig. Ich könnte auch sagen, dass die Bretter durch mein nicht ganz so hohes Lebendgewicht nicht so tief eingetaucht sind, aber das tue ich lieber nicht.
Jedenfalls hat den Leon, der hinter mir gewartet hat, die volle Breitseite erwischt. Glücklicherweise bin ich gar nicht schadenfroh, also muss ich mir auch kein Lachen verkneifen. Wie hieß es noch? Ach ja: „Meine Schuhe wiegen jetzt fast fünf Kilo!“ (O-Ton Leon). Aber trotz nasser Schuhe – wir haben die Socken vorsichtshalber ausgezogen – geht das Wandern ohne Probleme weiter. Zumindest was die Füße betrifft.
Mental knickt der Leon etwas ein. Es beginnt mit „wie weit ist es denn noch“ über „sind wir noch nicht bald da?“ und „ich kann nicht mehr“ bis zum finalen „Mama, sei mir nicht böse, aber ich gehe mit dir nie wieder in ein Moor“. Kinder sehen die Welt nun einmal anders, wenn sie Hunger haben. Nach einem kleinen Imbiss geht es meinem Sohn dann aber gleich wieder besser und wir gehen zusammen mit besserer Laune weiter.
Ich kann mich gar nicht satt sehen an der Schnabel-Segge, dem Wollgras (das jetzt leider nicht blüht), und der Rasenbinse, die hier überall in tuffigen Büscheln wächst. Auf trockenerem Gelände tauchen ganze Areale von Heidekraut vor uns auf und an den Heidelbeersträuchern hängen saftige Blaue Beeren. Wir verbringen fast den ganzen Tag hier in den geheimnisvollen Moor in Smaland und sind ganz schön müde, als wir endlich am späten Nachmittag wieder auf dem Parkplatz bei unserem Auto ankommen.
INFOS ZUM NATIONALPARK
Wo finde ich den Store Mosse Nationalpark?
Naturum und Haupteingang im Store Mosse Nationalpark befinden sich an der Straße 151 zwischen Värnamo und Gnosjö (17 Kilometer von Värnamo) im nördlichen Teil Südschwedens (Smaland). Der Park ist gut ausgeschildert und kann nicht verfehlt werden. Rundwanderung je nach Geschwindigkeit mindestens 4 Stunden.
Unbedingt mitnehmen
- gute Laufschuhe
- eventuell ein paar Plastiktüten (damit an kritischen Stellen die Füße nicht nass werden)
- alternativ Gummistiefel oder Ersatzschuhe
- etwas zu essen (lieber etwas mehr als zu wenig)
- Getränke
- bei unbeständigem Wetter: Regenjacke
- bei Hitze: Insektenschutzmittel, Sonnenhut oder Baseballkappe, Sonnencreme
- Kartenmaterial (Straßenkarte, Wanderkarte, Parkkarte uvm.)
Die Zeit im Store Mosse Nationalpark vergeht wie im Flug. Und wenn man sich das eine oder andere genauer anschaut, kannst du auch den ganzen Tag im Moor verbringen, ohne dass es langweilig wird.
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